Sonntagskonzertreihe 2024 - Rezensionen
Sonntagskonzert Nr. 1 | Mitten im Leben
Es ist ein winterlicher Nachmittag in Berlin und vorsichtig schlittere ich durch den Tiergarten zur Philharmonie. Als herausragende Events des Chorverbands Berlin sind die Sonntagskonzerte im Kammermusiksaal eine fester Bestandteil der Berliner Kulturlandschaft geworden und bieten nicht nur den Chören ein einzigartiges Podium, sondern den Zuhören auch immer neue Einblicke in die bunte Chorlandschaft dieser Stadt. An meinem Sitzplatz angekommen, genieße ich die beeindruckende Atmosphäre des Saals und werfe einen Blick ins Programmheft. „Mitten im Leben“ – drei Worte und kein Untertitel. Schnell wird ersichtlich, dass nicht nur der Name des Programms wohl überlegt ist. Liest man die Vorstellungen der drei Chöre, so findet man in jeder schon thematische Bezüge zum einleitenden Programmtext. be:one als in vielerlei Hinsicht aktiver Popchor am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium, die JazzVocals Berlin als selbst aus einem Schulchor heraus entstandener Klangkörper und die Chorgemeinschaft „pro musica“ Treptow als einer der größten Senior:innen-Chöre Berlins, bringen gemeinsam ganze 92 Jahre Chortradition auf die Bühne. Einander zuhören und miteinander ins Gespräch kommen wollen diese drei Chöre aus drei Generationen.
Nach einem weltoffen klingendem, kraftvollen „Vindo“ aus den Kehlen von be:one unter Leitung von Vera Zweiniger und Manuel Haase stellt sich das Moderator:innen-Team vor. Aus jeder Generation werden wir als Publikum von einem Menschen durch den Abend begleitet werden. In kleinen Interviews stellen sie sich auch gegenseitig Fragen, von Mensch zu Mensch und von Generation zu Generation. Auch hier spürt man die gute konzeptionelle Vorbereitung, die für diesen Nachmittag allen drei Chören den Rahmen bietet für ein abwechslungsreiches Programm und die eigenen Themen ihrer Generation.
be:one lassen mit einem hervorragend intonierten “Dat du min Leevsten büst” die Wirrungen der jungen Liebe aufleben und feiern mit “Dance!” ausgelassen ihre Jugend. Die JazzVocals Berlin unter Leitung von Matthias Knoche beschreiben mit gekonnt bluesigem Feel in “Still Crazy After All These Years”die Sentimentalität des mittleren Alters und geben mit einem rhythmisch und harmonisch komplexen “Yaninku” des bulgarischen Komponisten Kiril Todorov einen Einblick in die Herausforderungen des Elternseins.
Dann gehört die Bühne ganz “pro musica” unter der Leitung von Christian Höffling, der gekonnt humorvoll durch das Programm seines Chores leitet. Mit Klassikern wie “Über sieben Brücken” und “Alt wie ein Baum” zeigen sich die gut 60 Sänger:innen fröhlich, nachdenklich und strahlen dabei eine Lebensfreude aus, der man sich einfach nicht entziehen kann. 90 Jahre ist das älteste Chormitglied auf der Bühne und zum ersten Mal in der Chorgeschichte singen sie das komplette Programm auswendig. Eine besondere Herausforderung, wenn man 80 und nicht 18 Jahre alt ist, wie Höffling passend betont. Und so geben “pro musica” humorvoll ein nicht nur auf die Pandemie bezogenes “Hurra, wir leben noch” zum Besten und schließen ihren Konzert-Teil mit “Ihr von morgen” von Udo Jürgens an die nachfolgenden Generationen gewandt.
Dann füllt sich die Bühne, um das Publikum mit einem Lied für die Erde, “Aye Kerunene”, gemeinsam in die Pause zu begleiten. Beeindruckt von einer so herzlichen und bewegenden ersten Konzerthälfte, erlebe ich im Foyer etwas Unerwartetes. Mama und Papas, Omas, Opas und Jugendliche beschäftigt neben den munteren Gesprächen über das Konzert vor allem ein Thema: wäre es nicht eine gute Idee die Enkelkinder oder auch Großeltern in einem Chor anzumelden? Rege Diskussionen und die ein oder andere praktische Vermittlung finden bereits statt.
Mit dem traditionellen kongolesischen Versammlungsruf “Ama Ibuo Iye” eröffnen alle drei Chöre gemeinsam die zweite Hälfte und dramaturgisch gekonnt schließen die JazzVocals mit ihrem liebevolle Gedenken an “Grandma’s Hands” nahtlos an. Mit einem berührend ruhigen “Mercy of Sleep” und dem deutschen Volkslied “Es saß ein klein Wildvögelein” machen die JazzVocals ihre künstlerischen und musikalische Stärken deutlich. Aber auch in ihren Moderationen sind sie nicht auf den Mund gefallen und so wird ihr Aufruf zu Weltoffenheit, und Toleranz in Solidarität zur zeitgleich wenige hundert Meter entfernt stattfindenden Demonstration gegen Rechts zu einer der stärksten Momente im Konzert.
Das nach Worten suchende “Mironczarnia” des polnischen Komponisten Jakub Neske wird in der Interpretation der JazzVocals zum musikalischen Highlight des Abends und erntet langanhaltenden Applaus. Und der will nicht abebben, als be:one wieder die Bühne betreten. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie einer der besten Jugendchöre der Stadt sind. Nicht nur musikalisch, denn auch die Präsentation und Choreografie bringen den Saal in Schwung und man merkt, dass hier neben jugendlicher Energie auch ein routinierter Umgang mit Konzerten auf der großen Bühne gepflegt wird. Mit “Never Gonna Not Dance Again” zeigen be:one sich mit aktueller Popmusik in ihrem Element und huldigen mit einem hochenergetisch und humorvoll präsentierten Medley der Musik der Neuen Deutschen Welle.
Nach einem bejubelten “Come Alive” aus “The Greatest Showman” bittet das Moderator*innen-Team nochmals alle drei Chöre auf die Bühne, die mit so vielen Sänger:innen wohl kaum in einem Sonntagskonzert so voll war. Gemeinsam beenden be:one, die JazzVocals und pro musica den Abend mit “Wenn ein Mensch lebt” und verleihen ihrer Lebensfreude noch einmal Ausdruck. Langanhaltender Applaus und Standing Ovations führen dann auch zur kurzerhand als Zugabe erklärten Wiederholung von “Aye Kerunene” aus der ersten Konzertteil.
Warmherzig, menschlich und musikalisch beeindruckend und liebevoll gestaltet – so bleibt dieser Konzertnachmittag nicht nur in meiner Erinnerung. Nicht nur dabei, sondern mittendrin.
Rezension: Tanja Pannier
Sonntagskonzert Nr. 2 | Wurzeln
Die Suche nach dem Ursprung…
Drei sehr unterschiedliche Berliner Chöre finden Gemeinsamkeiten auf einer musikalischen Spurensuche nach den eigenen Wurzeln.
Das zweite Konzert der diesjährigen Sonntagskonzertreihe des Berliner Chorverbandes stand im Zeichen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den drei beteiligten Chören. Ein bulgarisches Folklore Ensemble, ein Chor mit australischem Kernrepertoire und ein Studentenkammerchor fanden als gemeinsame Basis die Liebe zur Musik und eine klar definierte eigene Identität, die durch die Reflexion der eigenen Herkunft – den persönlichen Wurzeln – entstanden war.
Beim bulgarischen Chor Bulcanto sind die Wurzeln der Chorleitenden und der Sänger:Innen Anlass für die Repertoirewahl. Es erklangen bulgarische Volklieder und orthodoxe Sakralmusik, die landestypisch mit einer kleinen Percussion-Combo musiziert wurden. Die Chorleiterin Boryana Velichkova nutzte ihre fundierten Repertoire- und Stilkenntnisse, um den Chor zu einer überzeugenden Leistung innerhalb dieses besonderen Gesangsstils zu animieren und führte das Ensemble mit gelassener und gleichzeitig konzentrierter Klarheit. Die Verbindung von bulgarischer Folklore und orthodoxer Sakralmusik erwies sich als wesentlicher Impuls für die Suche nach dem Ursprung des eigenen musikalischen Ausdruckswillens.
Der Chor tonraumfünf10 unter der Leitung von Christopher Bradley hatte sich in den letzten Jahren auf australische Chormusik spezialisiert, da Bradley als gebürtiger Australier einen direkten Zugriff auf diese Musik bieten konnte. So präsentierten sie unter anderem eine Uraufführung des 1982 geborenen australischen Komponisten Joseph Twist, die sich mit dem Wattle Baum -dem nationalen Baum Australiens- beschäftigt und damit den Titel des Konzertes auch dem Wortsinn nach auf die Bühne brachte. Durch erläuternde Ansagen wurden dem Konzertpublikum diese Bedeutungsebenen erfreulicherweise direkt erschlossen. Der Chor trat dabei nicht nur barfuß, sondern auch auswendig singend auf und konnte durch seinen emotional direkten Zugang überzeugen.
Nach der Konzertpause eröffnete das Collegium Musicum unter Donka Miteva mit Gustav Mahlers Urlicht in der Bearbeitung von Clytus Gottwald. Der besondere Zauber der Eröffnungsworte wurde von den Ausführenden durch eine äußerst gespannte Ruhe zelebriert, der sich nur einige im Publikum anwesende Kleinkinder entziehen konnten. Darüber hinaus präsentierte das gewohnt hochwertig agierende Collegium Musicum ein kontrastreiches Programm von Schnittkes Drei geistliche Gesänge über Albert Beckers Ich hebe meine Augen auf bis hin zu einer aktuellen In taberna Komposition des 1991 in Zakopane geborenen Michał Ziółkowski, das eine vielschichtige Beschäftigung mit unterschiedlichsten Wurzeln und deren Bedeutungsschattierungen andeutete und zu weiterführendem Nachdenken anregte.
Der Konzertnachmittag schloss mit Volksmusik von den Torres Strait Inseln -einer nord australischen Inselgruppe- und aus Bulgarien. So wurde dem Konzert ein passender Abschluss gegeben, der von allen drei Ensembles gemeinsam dargeboten wurde. Dabei war zu spüren, dass die drei Chöre trotz unterschiedlicher Wurzeln und daraus gewachsenen Biografien und Ansichten, in der Zusammenarbeit eine starke gemeinsame Basis aufgebaut und eine echte Verbindung zueinander hergestellt hatten. Die Suche nach den Wurzeln erwies sich als beflügelndes Ereignis, das von dem zahlreich erschienenen Publikum mit frenetischen Standing Ovations goutiert wurde. Somit stellte sich das zweite Konzert der Sonntagskonzertreihe 2024 als fruchtbares Experiment mit gelungenem Ausgang dar.
Rezension: Nils Jensen
Sonntagskonzert Nr. 3 | Vierseitig
Mit einem fulminanten musikalischen Auftakt begann am 10.März das 2.Sonntagskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie: über 100 Sänger und Sängerinnen intonierten zwei schwungvolle Stücke der weitgehend unbekannten Komponistin Agnes Zimmermann(1812- 1925)unter der souveränen Leitung von Juliane Roever.
Die große Tuttiformation wurde anschließend von Yannick Wittmann durch Brahms‘ Nachtwache 1 und 2 umsichtig durchgeleitet, die Textverständlich war trotz der Größe des Ensembles perfekt, die Phrasierung beweglich und geschmackvoll.
Vier Chöre, vier Himmelsrichtungen von Deutschland, das war das Konzept des Konzertes, dessen Programmpunkte sich über mehr als vier Jahrhunderte erstreckte. Da das Publikum mit leeren Händen zuhörte – die Programmhefte waren durch den Bahnstreik auf der Strecke geblieben –moderierten die Chorleiter spontan und kurzweilig ihre Programme.
Nach der ersten großen Chorumstellung blieb als erster Einzelchor das consortium vokale – gegründet 2006 von Mathias Stoffels – unter der Leitung von Rory W.Johnston auf der Bühne zurück. Nach den romantischen Klängen schockierten die 18 SängerInnen geradezu mit ihrer Präsenz und Virtuosität in “Juppiter“ von Michael Ostryga(1975). Das Stück stellt höchste Anforderungen an chorische Techniken, und Elemente der Avantgarde sind vielstimmig zu bewältigen, was der Chor uneingeschränkt konnte. Nach dieser Konzentrationshochleistung machte sich bei den folgenden Stücken ein wenig Erschöpfung breit, worunter die Interpretation der beiden Werke von Carl Heinrich Graun(1704 – 1750) „Fürwahr, er trug unsre Krankheit“ und „O virtus sapientiae“ von Hildegard von Bingen(1098 – 1179) etwas litt. Danach hatte sich der Chor wieder gefangen und präsentierte „Die Niemandsrose“ von Felicitas Kuckuck(1914 – 2001) und den 130. Psalm von Heinrich Kaminski(1886 – 1946)klangschön und berührend.
Der seit über 30 Jahren bestehende Kammerchor Jeunesse Berlin hatte sich drei Stücke aus ein und derselben Epoche gesucht, alle drei Komponisten kommen zudem aus Sachsen. Andreas Hammerschmidt’s Motette „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ und der 116.Psalm von Johann Hermann Schein sind zwei Werke voller Gegensätze und Dramatik, die der Chor mit Homogenität in den Stimmen und ausgefeilter Dynamik vortrug. Yannick Wittmann versteht es, seine SängerInnen durch sein organisches Dirigat gut über gesangstechnische Klippen zu führen. Sein volles Temperament und seine ganze Virtuosität entfaltete der Chor in Johann Ludwig Bach`s(1677 – 1731)“Das ist meine Freude“. Der „Meininger Bach“, einer der unzähligen Bache, die es in Sachsen und Thüringen gab und entfernt verwandt mit Johann Sebastian, hat eine doppelchörige Motette komponiert, deren Freude beim Dialog der beiden Chöre nur so prickelte.
Nach der Pause beeindruckte der Junge Kammerchor Berlin unter der Leitung von Juliane Roever mit dem „Pater noster“ von Max Baumann(1917 – 1999), einem 1955 komponierten achtstimmigen Werk voller überraschender Harmonik und komplizierter Satztechnik, alles auswendig gesungen. Der 2013 von Juliane Roever im Rahmen der Deutschen Studienstiftung gegründete Chor ist einer der beiden größeren Kammerchöre, die das Konzert gestalteten. In „Die Capelle am Strand“ bewies der Chor seine Fähigkeit zu textgemäßer Phrasierung und dynamisch feiner Differenzierung. Die doppelchörige, J.S.Bach zugeschriebene Motette „Ich lasse dich nicht“ mit einer blitzschnellen Fuge samt eingearbeitetem Choral und Schütz‘ „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ rundeten den souveränen Auftritt ab.
Der Kammerchor Vocantare Berlin, 2016 hervorgegangen aus dem Hellersdorfer Jugendchor, brachte zwei Werke lebender und anwesender Komponisten zu Gehör, davon sogar eine Uraufführung: Rory Johnstons „O“ ist eine Meditation über das zuvor gesungene „O virtus sapientiae“ von Hildegard von Bingen, die mit dem Vokal O spielt. Den Tucholsky-Text „Augen in der Großstadt“ vertonte Yannick Wittmann mit Witz und interessanten Effekten von Echos über Sprechen bis zu geflüstertem „nie wieder!“. Gut zu hören, dass komponierende Chorleiter für das „Instrument“ Chor passende, kreative, klangschöne und machbare Musik zu schreiben verstehen! Mit dem Leipziger Komponisten Albert Becker(1834 – 1899) beschloss der experimentierfreudige Chor unter der Leitung von Tobias Walenciak sein Programm.
Um die Vierseitigkeit des Konzertes zu betonen, feierten die vier Chöre ihren gemeinsamen Klang am Ende mit Orlando di Lassos „Omnes de Saba venient“. Den Höhepunkt des Konzertes erreichten sie mit der vierchörigen lateinischen Motette „Hora est“, die Felix Mendelssohn-Bartholdy mit 19 Jahren schrieb. Mendelssohn zieht hier alle Register: Männerchor und Frauenchor, Einzelchöre aber auch die volle Prachtentfaltung, wenn der ganze 16-stimmige Satz homophon erklingt.
Die über 700 Zuhörer haben vier hochkarätige Kammerchöre erlebt. Erfreulich, dass immerhin vier Werke von Komponistinnen dabei waren. Das Format Sonntagskonzert hat sich abermals bewährt!
Rezension: Sabine Wüsthoff
Sonntagskonzert Nr. 4 | Was zu sagen? Was zu singen!
Es ist wieder Zeit für ein Sonntagskonzert – Zeit, aus dem Trubel Berlins auszusteigen und im ehrwürdigen Ambiente des Kammermusiksaals die vielfältige Chorlandschaft dieser Stadt immer wieder neu zu entdecken.
„Was zu sagen? Was zu singen!“ ist der Titel des Programms, mit dem sich hardChor „ELLA“, die Berliner Singegemeinschaft „Märkisches Ufer“ und der Konzertchor Berliner Pädagogen heute gemeinsam präsentieren.
Ein Konzert sprechender Art soll es werden, das sich nur durch die Wirkung der Kompositionen und deren Texte an uns richtet. Damit das möglichst gut für alle Zuhörer:innen gelingen kann, haben sich die drei Chöre entschieden, an diesem Nachmittag nur Repertoire in deutscher Sprache zu singen.
Nach der gemeinsamen humorvollen Eröffnung mit dem „Vorspruch“ von Hanns Eisler, wird also in der einzigen Moderation des Konzerts nochmal die Grundidee erläutert. Die Verbindung aus Worten und Musik, die über die großen und kleinen Themen unserer Welt und unseres Alltags berichten, die sich bedingen und ergänzen. Text und Musik als gemeinsam entstandene Einheit – oft aber auch Worte, die zu Musik werden. Wie korrespondieren sie? Der abschließenden Aufforderung der Moderation „Urteilen Sie selbst…“, entschließe ich mich nicht zu folgen. Stattdessen versuche ich mich daran, jedes angestimmte Stück neu zu entdecken und auf mich wirken zu lassen.
Den Auftakt machen hardChor „ELLA“ unter Leitung von Bettina Kurella, die durch ihre jugendliche Energie gleich das Publikum voll bei sich haben. Mit Stücken und Texten von Bertolt Brecht, Hanns Eisler und Gerhard Gundermann, zeigen die ELLAs, wie sie sich selbst gerne nennen, wie schön dynamisch zu singen sie in der Lage sind und wie kurzweilig ein Chorauftritt auch ohne Moderation sein kann.
Dann erklingt auch schon das nächste gemeinsame Stück von Hanns Eisler und ich freue mich über die geeinte Vielfalt von Berliner Chören, die ich dort im Kammermusiksaal sehe.
Der Berliner Singegemeinschaft „Märkisches Ufer“ gehört jetzt die Bühne und mit „Wünsch mir die Welt“ von Hartmut Fladt gelingt dem Chor ein eindrucksvoller und klarer Einstieg in seinen Auftritt. Texte von Heinrich Heine und Mascha Kaléko finden neue Vertonungen, ebenso wie Theodor Storms „Sommermittag“, der in der Uraufführung von Karl-Heinz Jägers gleichnamiger Komposition auch schon Ende April spürbar wird.
Mit dem „Lied vom kleinen Kompromiss“ schicken uns schließlich wieder alle drei Chöre geeint in die Pause. Dass auch dieses von Hanns Eisler stammt und das natürlich kein Zufall ist, erfahre ich erst jetzt. Denn bereits im Jahr 2008 standen sowohl der Konzertchor Berliner Pädagogen als auch hardChor „ELLA“ in den Eisler-Konzerten des Chorverbandes Berlin gemeinsam auf der Bühne.
Mit einer dramaturgisch gut gesetzten „SprechChOrllage“ von Kati Faude, die auch maßgeblich für die Entwicklung des Konzertkonzeptes verantwortlich ist, beginnt der zweite Teil und es geht nahtlos über in den Auftritt des Konzertchors Berliner Pädagogen. Auch hier findet Theodor Storm seinen Platz, aber als traditionsreicher Repertoirechor zeigt der Konzertchor auch seine breite musikalische Aufstellung mit dem „Affenballett“ von Andre Asriel und Wandelbarkeit in „Nette Begegnung“ von Oliver Gies, wofür auch mal die Noten beiseitegelegt werden und eine kleine Choreografie die gute Stimmung im Saal weiter lockert.
Als dann zum gemeinsamen Abschluss alle drei Chöre die Bühne betreten und mit „Auf das was da noch kommt“ hoffnungsvoll gemeinsam in die Zukunft singen, bleiben Applaus und die Zugabe natürlich nicht aus und ich freue mich über einen schönen Konzertnachmittag im Kammermusiksaal.
Rezension: Matthias Knoche
Sonntagskonzert Nr. 5 | Im Osten geht die Sonne auf
Im Osten geht die Sonne auf
Mit diesem Konzerttitel lockte der Chorverband Berlin, wie es seit mittlerweile über 25 Jahren Brauch ist, die chorbegeisterten Berliner:innen in das traditionsreiche Sonntagskonzert. Zu hören gab es ein kreatives Programm voller Überraschungen gestaltet vom Lichtenberger Kammerchor – Piekfeine Töne, dem Clara-Schumann-Kinder- und Jugendchor und den Jazz’n’Oldies.
Im fast ausverkauften Haus erlebten die Anwesenden ein ausgesprochen durchdachtes und thematisch einmaliges Konzert.
Nach vielen gemeinsamen Proben war es den Chorleiterinnen Katrin Hübner, Ute Franzke und Susanne Faatz gelungen eine Brücke zwischen Ostrock, der Musik des ostdeutschen Arrangeurs und Komponisten Gunther Erdmann, Lieder aus Osteuropa und schließlich Volksmusik aus Vietnam zu schlagen. Mit Hilfe dieses außergewöhnlichen roten Fadens kreierten die drei Chöre ein kurzweiliges und stets interessantes Konzerterlebnis, welches durch ständig wechselnde Aufstellungen, der Begleitung durch verschiedenste Instrumente, dem geschmackvollen Einsatz von Choreografien und zahlreichen gesungenen Sprachen belebt wurde.
In diesem Sinne hatte schon das erste Stück einen magischen Charakter. Auf der Bühne befand sich das Lotus Duo Berlin, bestehend aus Phuong Hoa Tran und Hung Manh Le und eröffneten das Konzert mit wehmütigen Klängen auf ihren traditionellen vietnamesischen Instrumenten. Umringt wurden sie von den Sänger:innen aller drei Chöre, die sich in einem großen Kreis auf den oberen Rängen des Konzertsaals verteilt hatten. In einer einstimmigen Melodie die Schönheit des Bambusbaumes besungen, umrahmt von schillernden Cluster-Akkorden.
Nach diesem faszinierenden Auftakt wurde das Publikum von 2 Mädchen des Clara-Schumann-Chores begrüßt und der Lichtenberger Kammerchor auf die Bühne gebeten. Mit dem getragenen Stück „Qua Cầu Gió Bay“, was übersetzt so viel bedeutet wie „Über die Brücke mit dem Winde verweht“, wurde ein weiteres vietnamesisches Volkslied präsentiert, welches im Rahmen des international beachteten Projektes Berlin-Hanoi (siehe Chorspiegel Ausgabe 2/2024) einstudiert wurde. Mit den beiden bewegteren Liedern „Dana-Dana“ und „Thalassáki Mou“ erfolgte ein geografischer Wechsel nach Ungarn und Griechenland. Mit tänzerischen Melodien und ausgefeilten Choreographien bewiesen die Lichtenberger eindrucksvoll ihre Fähigkeit, internationale Volkslieder spannend zu interpretieren. So wurden manche Passagen geflüstert, auf Schwerpunkten laut aufgestampft und Naturgeräusche wie Meeresrauschen und Vogelzwitschern imitiert.
Mit diesem Vogelgesang, nun von allen Sänger:innen gepfiffen, ging das Programm nahtlos zum Clara-Schumann-Kinder- und Jugendchor über. Dieser begeisterte mit seinem zarten, hellen Chorklang, der die sängerische Hingabe und die gründliche Stimmbildung der Kinder und Jugendlichen erahnen ließ. Mit dynamischer und agogischer Präzision widmete sich der Chor den Arrangements des ostdeutschen Komponisten und Arrangeurs Gunther Erdmann, welcher als freischaffender Künstler viele Werke für Kinder- und Jugendchöre geschaffen hat. Ihm fühlt sich die Singschule seit vielen Jahren verbunden und verpflichtet. So erklang zunächst ein erfrischendes Volkslied mit dem Titel „Willkommen im Grünen“ gefolgt von einer tänzerischen und doch melancholischen, dänischen Ballade mit dem Namen „Ich ging hinaus am Sommertag“.
Nun wurden die über 50 jungen Sänger:innen aus Lichtenberg von zwei Mitgliedern der Jazz’n’Oldies begrüßt und vorgestellt. So setzte sich das gelungene Konzept des alters- und sogar generationsübergreifenden Musizierens auch in den abwechslungsreichen Moderationen fort. Dieser humorvollen Vorstellung folgten zwei Stücke, in denen Herr Erdmann als Komponist in Erscheinung trat. In dem Lied „Worte wechseln“ spielte der Chor mit einer experimentellen Choraufstellung, aufgeteilt in zwei Ensembles, die sich im Laufe des Stückes zusammenfanden und einem Hauptchor. Der vorläufige Abschluss bildete die eindringliche Hymne „Nach dieser Erde“, die zur Achtung und Bewahrung der Welt aufrief.
Den Abschluss der ersten Konzerthälfte bildete der Köpenicker Chor Jazz’n’Oldies. Der großen Gruppe unter der Leitung von Susanne Faatz gelang ein fabelhafter Stimmungswechsel. Wo eben noch nachdenkliche Töne angestimmt wurden, sangen nun aus voller Brust und mit unbändiger Freude erfahrene Choristen mitreißende Volkslieder. So wurde gleich im ersten Titel das Publikum aufgefordert den Rhythmus einer im Stück vorkommenden Maultrommel mitzusingen. Mit dieser Aktion und der humorvollen Ansage der Chorleiterin verbreitete sich eine ausgelassene Stimmung im Saal, die sich auch im frenetischen Applaus des Publikums widerspiegelte. Professionell begleitet von einer eigenen Band wurde der Chor auch bei seinem nächsten Lied „Tumbalaleika“ der Vertonung eines Streitgesprächs zweier Eheleute. Den rockigen Abschluss bildete der Schlager „Wenn’s draußen grün wird“ von Manfred Krug. Mit rockigen Saxophonsoli und Schubert-Zitaten „Im wunderschönen Monat Mai“ wurde das Publikum bestens gelaunt in die Pause geschickt.
Der nächste Programmabschnitt wurde auf beeindruckende Weise vom Clara-Schumann-Chor und verschiedenen Begleitinstrumenten wie Klavier (Ya Suo), Violine, Cajon und Flöte eindrucksvoll gestaltet. So zeichneten sich die ersten beiden Stücke „Tfilati“ und „Ma Navu“ durch eine inspirierende Choreographie aus, die in einem nahtlosen Übergang eine Brücke zwischen zwei unterschiedlichen israelischen Tänzen schlug. Mit den Liedern „Herding Horn Imitation“ und „Ikan Kekek“ verabschiedete sich der Chor von der Bühne indem er bei ersterem dutzende unterschiedlich klingende Hörner mit Händen vor dem Mund imitierte, inklusive Vibrato-Effekt und bei letzterem ein tänzerisches, malaysisches Kinderlied, welches durch Solistengesang und schönen Bewegungen bereichert wurde.
Mit dem Lied „Učiň mě, Pane, nástrojem“ stellte sich der Lichtenberger Kammerchor noch einmal dem Publikum vor. Dieses getragene Gebet, das Franz von Assisi zugeschrieben wird, wurde von dem tschechischen Komponisten Petr Eben vertont und von den Sänger:innen in klarer Schönheit dargeboten. Mit den nächsten beiden Werken wandte sich das Ensemble wieder der vietnamesischen Musik zu. Im Halbkreis stehend wurde das Volkslied „Bèo dạt mây trôi“ gesungen, mit dem einige Chorsängerinnen mit vietnamesischen Wurzeln besondere Kindheitserinnerungen verbinden. Zum krönenden Abschluss ihres Programmes sang der Kammerchor das Stück „Ngựa Ô Thương Nhớ“. Archaisch und rhythmisch prägnant wurde ein Rappe besungen, während „Ho“ Rufe und choreographische Elemente die Wildnis heraufbeschwörten.
Zum Abschluss des Konzertes kamen noch einmal die Jazz’n’Oldies auf die Bühne. Mit dem japanischen Abzählreim „Tousaka“ lief der Chor zu ungeahnten, zungenbrecherischen Höchstleistungen auf. Angeleitet von einer japanisch sprechenden Sängerin des Kinder- und Jugendchores hatte dieses Stück fast schon Züge von Hip-Hop. Mit dem ostdeutschen Schlager „Sommernachtsball“, bekannt geworden durch die Sängerin Veronika Fischer, beendete der Chor sein Programm. Mit Schellenkranz, Lichtern aus den Reihen der mitwirkenden Chöre und einer schönen Interpretation kam das Publikum in „Schunkellaune“.
Zu diesem Musikstück passte auch das letzte Lied des Abends. Mit „Der Reichtum der Welt“ besangen die drei Chöre gemeinsam mit nachdenklichen Worten die Schönheit unseres Planeten. Die Handys des Publikums leuchteten und wiegten sich im Takt der melancholischen Melodie.
Mit tosendem Applaus bedankte sich das begeisterte Publikum bei den Sänger:innen der drei Berliner Chöre und dem Chorverband Berlin für dieses außerordentlich gelungene Konzert, mit dem die Protagonisten bewiesen, dass Musik über alle Alters- und Landesgrenzen hinweg verbindet.
Rezension: Anton Rotter
Sonntagskonzert Nr. 6 | Sonidos Interseccionales
Intersektionale Klänge
Ein Konzertprojekt, das auf die strukturelle Benachteiligung weiblicher Komponistinnen im globalen Süden aufmerksam macht
Das sechste Sonntagskonzert versprach mit seinem Titel eine eher technische Herangehensweise an das Thema Diskriminierung. Intersektion beschreibt die Diskriminierung in mehr als einer Dimension, wie sie beispielsweise von Frauen im globalen Süden erlebt wird. So stammten die Komponistinnen der zu hörenden Werke allesamt aus lateinamerikanischen Ländern und sind von intersektionalen Diskriminierungsmustern betroffen, da sie aufgrund ihrer Herkunft und ihres Geschlechtes Benachteiligung erleben müssen. Das Konzert blieb beim Aufzeigen dieser Ungerechtigkeiten allerdings nicht stehen, sondern ermöglichte den direkten Blick in ein Repertoirefeld, das zu entdecken sich lohnen wird.
Die beiden beteiligten Chöre Coro EntreVoces und Coro Contrapunto, beide unter der Leitung von Catalina Restrepo, traten in einheitlichem Schwarz auf und agierten als ein gemeinsamer Chor. Die Sängerinnen und Sänger der beiden gemischten Chöre traten mit würdevollem Ernst auf und boten eine gute Grundkonzentration, die Catalina Restrepo mit aufmunternder Gestik und Mimik zu erwidern suchte. Dabei entwickelten die beiden Chöre unter Anleitung ihrer Dirigentin eine besonders ernsthafte Ausdrucksqualität, die vor Augen führte, dass den Sängerinnen und Sängern sowohl an einer Übermittlung des musikalisch-emotionalen Ausdrucks, als auch des außermusikalischen Inhaltes der aufgeführten Werke gelegen war.
Durch verschiedene Aufstellungsvarianten wurde das statische Grundsetting immer wieder aufgelockert und bot Abwechslung innerhalb des Programms von relativ kurzen und sich im Affekt ähnelnden Liedern. Durch verschiedene Effekte und musikalische Mittel suchten die Komponistinnen hier weitere Abhilfe. So wurden einige Stücke mit Bodypercussion, mit instrumentaler Percussion oder mit Vogelstimmenimitationen angereichert.
Für besondere Momente sorgten eben jene Komponistinnen, die Dank einer Förderung kurzfristig und überraschend für das Konzert nach Deutschland eingeflogen werden konnten. So verlas die Komponistin Elisa Schmelkes das in der mexikanisch-indigenen Sprache Mixtekisch verfasste Gedicht Kue’e tachi, das die Überwindung einer Missbrauchserfahrung thematisiert, bevor das Werk aufgeführt wurde und erzeugte damit sowohl Beklemmung als auch das Gefühl einer trotzigen Befreiung. Alle Komponistinnen strahlten eine große Dankbarkeit darüber aus, ihre Werke und deren inhaltliche Anliegen an diesem besonderen Ort präsentiert zu wissen.
Insgesamt bot das Konzert mehr als nur den Hinweis auf strukturelle Ungerechtigkeiten. Hier wurde die Möglichkeit geschaffen, einen interessanten Repertoiredurchschnitt authentisch von dessen Schöpferinnen präsentiert zu bekommen und mitzuerleben, dass diesen Künstlerinnen in angemessenem Rahmen die verdiente Aufmerksamkeit zukommt. Nun ist zu wünschen, dass die Musik zugänglich und bekannt gemacht wird und von diesem Konzert eine dauerhafte und nachhaltige Wirkung ausgeht, die über Berlin und den Kammermusiksaal der Philharmonie hinausweist.
Rezension: Nils Jensen