Rezensionen zur Sonntagskonzertreihe 2019

Sonntagskonzert Nr. 1 | Chiaroscuro - Hell und Dunkel

Um es vorwegzunehmen: Das Eröffnungskonzert der Sonntagskonzertreihe am 20. Januar mit dem Kammerchor Univocale Berlin (Leitung: Christoph Ostendorf), dem Neuen Kammerchor Berlin (Leitung: Adrian Emans) und dem Kammerchor des Collegium Musicum Berlin (Leitung: Donka Miteva) war ein überragendes Chorerlebnis, und es gehört mit zu den besten Konzerten, die ich in den letzten zehn Jahren hören konnte.  

Mit dem von den drei Chören gemeinsam vorgetragenen „Lux Aeterna“ von Edward Elgar (eine ChorBearbeitung des berühmten Satzes „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen für Orchester), geleitet von Adrian Emans, wurde gleich zu Beginn ein hörbares Ausrufezeichen gesetzt, welches das  Publikum ahnen ließ, auf welch hohem künstlerischen und technischen Niveau heute musiziert werden sollte. Zudem wurde mit dem Werk und der Textunterlegung von John Cameron auch in das Konzept des Konzertnachmittags („Chiaoscuro – hell und dunkel“, im Untertitel: „Klangschattierungen zwischen Licht und Finsternis“) eingeführt.  
Der erste Chor, der danach auftrat, war der Kammerchor Univocale Berlin mit zwei Werken aus dem 16. Jahrhundert: Gesualdos „Tenebrae factae sunt“ wurde Tallis‘ „O nata lux“ gegenübergestellt. Trotz der nun kleineren Besetzung mit gut 20 Chorist*innen und der extrem schwierigen stilistischen Umstellung, was nur für wenige Anfangstakte zu einer kleinen klanglichen Unsicherheit führte, animierte Christoph Ostendorf seinen Chor zur Höchstleistung, und nach der umwerfenden Größe des Anfangs war man froh über den nun leichteren Ensembleklang.  

Der nun auftretende Neue Kammerchor Berlin, der alle seine Programmbeiträge auswendig vortrug, setzte bei Whitacres „Sleep“ (spontane Bravorufe!), Scheins „Die mit Tränen säen“ und Brahms‘ „Darthulas Grabgesang“ alle seine Möglichkeiten ein, über die die Sänger*innen mit ihren fast durchweg professionell ausgebildeten Stimmen verfügen. Sie musizierten mit intonationsreinem und homogenen sattem Sound, experimentierten mit verschiedenen Choraufstellungen und Adrian Emans gestaltete die Musik einfallsreich und höchst präzise. Zu Recht gehört der Chor zur Spitzenklasse in der Berliner Chorlandschaft.  

Wenn man meinte, dass es der Kammerchor des Collegium Musicum Berlin an dieser Stelle des Konzerts nun schwer haben könnte, wurde schnell eines Besseren belehrt. Die extrem präzise dirigierende und animierende Donka Viteva wählte sehr klug drei unbekanntere Chorwerke aus: Waldenbys „Dulce lumen“ (wie ein Bruckner-Ave Maria in modernem Klanggewand), Arkhangelskys „Pomishljaju den strashni“ (aus der reichen Tradition osteuropäischer Liturgiegesänge) und Ostrzygas „Iuppiter“ (bereits 1975 komponiert, aber durch seine extremen kompositorischen Mittel noch heute modern und neu wirkend). Nicht nur durch diese Auswahl besticht der Chor, auch durch die lupenreine Intonation, die wunderbare Homogenität und die mitreißende dynamische Spannbreite.
Nach einem erneuten gemeinsamen Stück aller Chöre (Gjeilos „Unicornis Captivatur“), diesmal unter Christoph Ostendorf, ging das Publikum begeistert in die Pause, die durch den Kammerchor Univocale mit Ešenvalds‘ bekanntem „Stars“ (das zum Teil mit Gläsern musiziert wird), Whitacres „Lux Aurumque“ (das zu Recht fast schon zum guten Ton moderner Chormusik gehört) und Lauridsens „Sure On This Shining Light“ (dem eine Nähe zum amerikanischen „Worship“ nicht abzusprechen ist) beendet wurde.
Wieder war die Ausgewogenheit und Sicherheit des Ensembles beeindruckend.  Regers „Morgengesang“, Janssons „Maria IV“ und Stroopes „The Conversion of Saul“ wurden vom Neuen Kammerchor erneut in den Stücken angemessenen erfindungsreichen Choraufstellungen und in einer extrem hohen Qualität dargeboten. Zwei das Konzert (fast) abschließende Werke des Kammerchors des Collegium Musicum (Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“, das so Manche*n aus dem Publikum zu Tränen gerührt hat, und Pamintuans sehr eindringliche Friedensbitte „Dona Nobis Pacem“) bildeten den vorletzten Höhepunkt dieses reichen Konzerts.

Der letzte kam dann mit Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, gesungen von den drei Chören in einer Bearbeitung von Clytus Gottwald für 16 Stimmen. Unter Donka Mitevas Leitung wurden das Publikum und ich durch die unglaublich tröstende Vertonung des (zum Traurigsten alles je Gedichteten gehörenden) Rückert-Texts und die wunderbar einfühlsame Interpretation zurück in die Welt entlassen.  

Rezension: Carsten Albrecht 

Fotos: Thomas Bender

Sonntagskonzert Nr. 3 | LUX

Lux – Licht – Ewige Fragen in alten und neuen Werken  

Es ist allgegenwärtig.  Licht begegnet uns als elektromagnetische Strahlung in den Naturwissenschaften. Es bildet die Grundlage für das Wachstum unserer Nahrung und das Gedeihen unseres physischen Körpers. Und es hat kulturgeschichtliche Relevanz: als Gestaltungselement in der Bildenden Kunst, sowie als weiträumige Metapher für etwas, dass wir Menschen seit jeher in Dichtung, Musik, Philosophie und Religion darstellen und suchen: Licht ermöglicht uns Leben, Sehen und Einsehen. Dieses breite Spektrum des Lichts vergegenwärtigte auf wunderbarer Weise der dritte Konzert-Nachmittag im Rahmen der Sonntagskonzertreihe des Chorverbandes Berlin 2019 in der Philharmonie.  

Die Leiter von vier Berliner Kammerchören hatten vor zwei Jahren begonnen, gemeinsam den roten Faden zu spinnen, ein Programm zu ersinnen und mit dem Thema „Lux“ musikalische Antworten auf ewige Fragen zu finden. Ein Programm wurde zusammengestellt und einstudiert, das in ein leuchtendes und (klang-) farbenreiches Konzert am 31. März im Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin mündete. Mit dabei waren Concentus Neukölln (Leitung: Thomas Hennig), der Kammerchor JEUNESSE Berlin (Leitung Johannes Dasch), ‚HXOS Chor Berlin (Leitung: Stelios Chatziktoris) sowie der Kammerchor Vocantare (Leitung: Nils Jensen).  
Als besonders gelungen und inspirierend ist die aufeinander abgestimmte Dramaturgie und Choreografie des Konzertes sowie die sechs (!) gemeinsam erarbeiteten Werke zu erwähnen. Zu Beginn und am Ende jeder Konzerthälfte sowie in der Mitte standen die „Gemeinschaftsproduktionen“.  

Alle vier Chöre begannen mit dem Josquin de Prés´ „Gaude virgo“, endeten vor der Pause mit Griegs „Ave maris stella“, führten nach der Pause fort mit Mendelssohns „Richte mich Got“t und beschlossen den Abend mit Rheinberges „Abendlied“. In der Mitte des ersten und zweiten Blocks stand jeweils ein Werk, das von zwei Chöre gesungen wurden: Schumanns „An die Stern“e (Concentus Neukölln & JEUNESSE Berlin) und „Warum ist das Licht gegeben“ von Brahms (‚HXOS Chor & Vocantare). Es war – trotz nur eines gemeinsamen Probentages für alle Beteiligten zu hören, wie gut es sich auswirkt, wenn diese vielstimmigen Vertonungen in kleinen, intensiv arbeitenden, transparent klingenden und aufeinander hörenden Ensembles vorstudiert werden. Puls, Phrasierung, Absprachen, Dynamik und Intonation waren trotz der Vielzahl von über 100 Sängerinnen und Sänger gut aufeinander abgestimmt und führten zu einer klanglich beeindruckenden Interpretation. Jeder Chor präsentierte zudem gut 15 Minuten ein alleiniges Programm, das sich überdies ebenso um die verschiedenen Aspekte und den Facettenreichtum der Licht-Metaphorik rankte.  

Franz von Assisi´s Il Canttico delle Creature, dargeboten vom Concentus Neukölln, lobt in der Vertonung des Dirigenten Thomas Hennig auf harmonisch reizvolle, immer wieder von Unisono-Stellen abgelösten Passagen, die Quelle des Licht und Urquelle allen Lebens: die Sonne. Ein anspruchsvolles Werk, dass die kleine Besetzung des Concentus Neukölln – dem man noch ein paar Frauenstimmen mehr wünschte – unter dem angenehm fließenden und bisweilen packenden Dirigat zum Leben erweckte und plastisch machte. Dazu gesellten sich – vom Dunkel ins Lichte führend – zwei Gesänge aus den „Acht geistlichen Gesängen“ von Max Reger: das „Nachtlied“ und der „Morgengesang“. 

Der Kammerchor JEUNESSE Berlin unter der Leitung von Johannes Dasch beeindruckte neben sehr souverän und auswendig gesungenen Werken von Schütz, Gallus und Gjeilo mit einem Werk des australischen Komponisten Stephen Leek. Inspiriert vom Kondalilla-Nationalpark in Australien setzt die gleichnamige Komposition „Kondalilla“ das Spiel von Licht, Wasser und Naturgeräuschen in Musik. Basierend auf Improvisationen über vorgegebenes Tonmaterial und vor dem Hintergrund zum Teil feststehender Linien in den Männerstimmen öffnete sich dem Hörer eine Welt des Licht-und Tierstimmen durchflutenden Naturschauspiels, das den Mitglieder des JEUNESSE-Chores auf eindrückliche Weise gelungen ist.  

In der zweiten Konzerthälfte zog der ‚HXOS Chor Berlin mit einem Volkslied aus der Heimat seines Dirigenten Stelios Chatziktoris in den Saal ein. Ganz klangvoll, fließend und choreografisch durchdacht schloss sich Whitacres „Sleep“ an.  Frei von Notentext- und mappen konnten die Sänger, quasi in den Schlaf gesunken und in der Mitte der Bühne liegend, auf den nachfolgenden Marienhymnus (Salve Regina) des ungarischen Komponisten K. Miklós, gesungen von den äußerst homogenen und leuchtenden Frauenstimmen, hören. Die Männer erwiderten den Frauengesang im kleinen Kreis und mit wunderbar zarten hohen Tönen mit Rossinis „Preghiera“. Der Bogen schloß sich mit einem weiteren zypriotischen Lied, einem Hochzeitlied von S. Michaelides.  

Im Programm des Kammerchores Vocantare (Leitung: Nils Jensen) leuchten im „Nunc dimittis“ von Arvo Pärt die Stimmen des Chores und die Augen des alten Simeon, der den Heiland gesehen und so zufrieden ins Licht gehen und sterben kann, ebenso auf wie die Sterne in Trond Kvernos „Ave maris stella“. Große dynamische Bandbreite und eindrucksvolle Homogenität erklangen in beiden Werken. Auch die Uraufführung des Volksliedsatzes „Wann ich des Morgens früh aufsteh“ von Helmut Barbe dürfte den anwesenden Komponisten gefreut haben.  

Nicht unerwähnt soll blieben, dass es in der Programmheftgestaltung noch Potenzial gäbe: Nicht nur wäre es wunderbar, wenn alle Werktexte abgedruckt werden könnten (zumindest die fremdsprachigen). Auch ein kleiner Einführungstext zur Programmidee und -gestaltung wäre für das sehr aufgeschlossene und zahlreiche Publikum hilfreich gewesen. Dass es ein gelungener Nachmittag war, war den Gesichtern der Sängerinnen und Sänger nach dem Konzert anzusehen und dem Bravo-Rufen des Publikums samt den Gesprächen backstage zu entnehmen. Alle – Sängerinnen, Sänger und Dirigenten – fühlten sich durch das gemeinsame Tun inspiriert, haben gegenseitig bleibende Erfahrungen gewonnen, neue Gesangs-Impulse erhalten und das Klangerlebnis in der Fülle genossen. Es war der erste lange Tag nach der sommerlichen Zeitumstellung: Man konnte beschwingt in den lichten Frühlingsabend nach Hause gehen.  

Rezension: Marie-Louise Schneider 

Fotos: Thomas Bender
Fotos: Thomas Bender

Sonntagskonzert Nr. 4 | Ist das noch Klassik?

Über sechshundert Personen fanden am 28. April 2019 den Weg in den gut „umzäunten“ Kammermusiksaal der Philharmonie, ihr Ziel war wie seit Jahren schon die Konzertreihe des Chorverbandes Berlin. Im gut gefüllten Saal präsentierten sich diesmal drei Berliner Chöre: der Mozart-Chor, die gropies berlin und die Joyful Singers. Ein solches Konzert mit drei Chören ist noch kein Chorfestival und auch kein Chorwettbewerb, aber doch bringt es viel Spannung und wird mit großer Aufmerksamkeit beobachtet.  

Ensembles die in der Philharmonie auftreten, haben eine lange Vorbereitungszeit hinter sich, dies war auch hier ähnlich. Für den Aufbau des Konzertprogramms waren die drei Dirigenten Sabine Fenske, Johannes Dasch und Simon Berg verantwortlich. Zuerst trat der Mozart-Chor in der Besetzung eines Kammerchores mit einem klassisch klingenden Programm auf. Das Programm umfasste Stücke vom Volkslied über religiöse Klänge bis zu einer komprimierten Fassung des Messiah von Händel. Nach dem ersten Stück, in der sich der Chor noch in der Aufwärmphase befand, wurden interessant und kultiviert mit vielen dynamischen Nuancen noch vier Kompositionen vorgetragen. Wobei ich mir bei einem Stück („Im Traum“) die Darstellung wegen des Klavierparts durch ein größeres Ensemble vorstellen könnte. Dafür aber wurde das „Exultate, jubilate“ von Karl Jenkins sehr interessant, exakt und ausdrucksvoll vorgetragen. Zum Abschluss erklang mit dem „Three-minute Messiah“ von Peter Gritton eine hoch interessante Mischung aus Barock und Moderne. Sabine Fenske hat sehr schön, präzise und mit klaren minimalen Bewegungen ihr Programm dirigiert.  
Anschließend sangen die gropies berlin mit dem Mozart-Chor gemeinsam das klassisch komponierte „Cantate Domino“ und ein Stück von S. Fenske, in dem die „Musikalität“ durch Rezitieren von Wörtern entsteht.

Danach ist Johannes Dasch mit gropies berlin auf der Bühne, der sich schon im ersten Stück als ein Chor präsentiert, der sein Programm auswendig singt. Neben den einfach bearbeiteten Songs wie „Flower of Beauty“ erklang auch eine überaus interessante Bearbeitung des Stückes „So geil Berlin“ von Carsten Gerlitz, die der Chor mitreißend sang. Der ganze Auftritt von gropies berlin war spannend und mit viel Publikumsapplaus schließt der erste Teil des Konzerts. Die Art des Dirigats von J. Dasch passte zu den Unterhaltsstücken ausgezeichnet.  

Den zweiten Teil des Konzertes eröffneten die Joyful Singers unter der Leitung von Simon Berg mit bekannten Gospelsongs. In der Darbietung der einzelnen Songs war der sensible bis zum lebendigen Gesang des gesamten Ensembles zu spüren und in einigen Liedern der ausgeglichene Klang der Männerstimmen bemerkenswert. Die unterschiedliche Platzierung der Chorgruppen trug zur Lebendigkeit der musikalischen Präsentation bei. Das überaus elanvolle Dirigat von Simon Berg inspirierte den Chor zu einer überzeugenden Darbietung und übertrug sich auch auf das Publikum, was am Applaus zu merken war.

Zum Abschluss des Konzerts vereinten sich die drei Chöre zu einem gemeinsamen Ensemble und begeisterten die Zuhörer mit drei sehr unterschiedlichen anspruchsvollen Kompositionen. Man merkte den mitwirkenden Chören an mit welcher Freude, ja Leidenschaft sie sich ihren Programmbeiträgen gewidmet hatten. Wie immer bleiben Mitwirkenden nach dem Konzert im Foyer und tauschen mit Freunden und Bekannten ihre Eindrücke aus, was auch für die Sonntagskonzertreihe spricht.  

Rezension: Karol Borsuk / Christina Farnold

Sonntagskonzert Nr. 5 | Wandel & Vergänglichkeit

Es könnte wohl nicht besser passen, am Tag der Europawahl das Motto Wandel und Vergänglichkeit als roten Faden durch das Sonntagskonzert des Berliner Chorverbandes ziehen zu lassen. Auf der politischen Europa-Karte hat sich jedenfalls seitdem einiges gewandelt.

Doch als die drei Chöre Singfrauen Berlin (Leitung Franziska Welti), Classical Lesbians (Leitung: Sibylle Fischer) und canta:re (Leitung Thomas Noll) vor ca. 1,5 bis 2 Jahren ihre Idee für das gemeinsame Konzert konzipierten, war an die Europa-Wahl noch lange nicht zu denken. Und so fußt das Thema Wandel und Vergänglichkeit nicht im Politischen sondern in der Suche nach dem „Leben jenseits des Greifbaren“ (Thomas Noll im Begleittext).

Der Ausgangspunkt für die Kooperation war eine schon länger bestehende Verbindung der beiden Frauenchöre zu der in Berlin lebenden, japanischen Komponistin Mayako Kubo. Ihr  Stück „Schnee – Von der Unzulänglichkeit des Sterbens“ für Frauenchor, zwei Solo-Soprane, Violoncello und Schlagwerk wurde quasi „maßgeschneidert“: es wurde für und – was die Textauswahl betrifft –  mit den beiden Frauenchören und deren Leiterinnen als Auftragswerk komponiert und uraufgeführt. Mit seinen ca. 30 Minuten Aufführungsdauer wurde es zum zentralen Werk des Nachmittags, an dem sich die Auswahl der weiteren geistlichen und weltlichen Chorwerke orientierte.

Als äußerst gelungen und durchdacht ist die dramaturgisch-choreografische Abstimmung des ganzen Konzertes und das umfangreiche Zusammenmusizieren aller Beteiligten zu erwähnen. Zunächst zogen alle Chöre gemeinsam in den oberhalb der Bühne liegenden Rundgang des Zuschauerraumes und boten beim Einzug und in einem großen Kreis das improvisatorisch angelegte Werk „… to be what we are to  be about“ des Komponisten Terry Riley als Eröffnungsstück dar.

Es schlossen sich oft auswendig und an verschiedenen Standorten des Konzertsaales dargebotene, selten gehörte Stücke und Lieder im Wechsel der Chöre an. Hervorheben möchte ich hier die wunderbare georgische Volksliedvertonung Sabodisho, das die Singfrauen Berlin mit einem bewegenden Pianoklang interpretierten, Arvo Pärts „Solfeggio“, in dem die Tenöre des canta:re –Chores besonders glänzten sowie das nachdenkliche, souverän dargebotene Herbstlied „Chanson d´automne“ der Classical Lesbians, dessen vollständiger Text leider – wie fast alle anderen Werktexte – nicht im Programmheft abgedruckt worden war.

Den Abschluss des ersten Teiles bildete die 12-stimmge Sanctus – Vertonung des Italieners G. Gabrieli. Die Chöre standen dafür wieder im Rundgang des Zuschauerraumes, diesmal in 3 Chorgruppen aufgeteilt. Die dadurch entstehende räumliche Distanz zur Dirigentin, die für alle Chorgruppen gut sichtbar zentral unten auf der Bühne stand, musste zu Beginn des Stückes zunächst überwunden werden, führte zu kleinen rhythmischen Anlauf-Schwierigkeiten bis das Werk mehr und mehr in den Fluss kam.

Nach der Pause erklang die oben erwähnte Uraufführung „Schnee – Von der Unzulänglichkeit des Sterbens“.  Zu hören war ein fulminantes, äußerst abwechslungsreiches, vom schnellen Rollentausch (Chorleitung- Sologesang) geprägtes, kantatenartiges Werk in vier Sätzen. Basierend auf vom Chor ausgesuchten Gedichten zum Thema Schnee von Franz Werfel , Ulla Hahn und dem japanischen Dichter Shiricho Fukayawa formte Mayako Kubo eine Komposition, die dem Zuhörer einmal mehr Vergänglichkeit und Verwandlung – nicht Tod – allen Lebens vor Ohren führte: „Oh langsamer Schneefall der Welt, der Geschlechter … Wir schmelzen, aber wir bleiben, wenn uns Tropfen der Tod, als Tauwind bestellt, Heimsucht und heimsammelt zum Schoß“, F. Werfel.

Äußerst geschickt setzte Mayako Kubo die stimmlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten der beiden Frauenchöre in Korrespondenz zu den Solo-Sopran-Partien (Franziska Welti und Sibylle Fischer)  sowie den beiden Instrumental-Parts (Almut Lustig, Schlagwerk und Ehrengard von Gemmingen-Violoncello), denen sie einiges an Virtuosität, rhythmischer Finesse, Dynamik und Klanglichkeit abverlangte. Alle vier Frauen beeindruckten mit ihren solistischen Auftritten, ihrem Zusammenspiel und -klang.

Daran anschließend – und vielleicht ein bisschen im dramaturgischen Schatten dieser herausragenden Uraufführung – standen weitere Chorwerke, bei denen auch canta:re wieder in der klanglichen Fokus rückte. „Trilo“ – eine Bearbeitung von F. Woebken des schwedischen Volksliedes offenbarte mir, nach der ausschließlich für Frauenstimmen gesetzten Uraufführung, wie wunderbar es für die klangliche Ausgewogenheit sein kann, auch die tiefen Resonanzen, die Männerstimmen im Chorklang hören zu können.

Drei weitere gemeinsame einstudierte Werke (Nystedts Immortal Bach, ein anonymes Kyrie eleison sowie die Wiederholung der 12-stimmge Sanctus – Vertonung des Italieners G. Gabrieli) machten den  Nachmittag – trotz hier und da auftretender Intonationseintrübungen – zu einem erfüllenden Konzert: hoch motivierte Chöre, ein intensiver Probenvorlauf und eine überzeugende, Augen und Ohren öffnende Repertoireauswahl war eine wichtige und überzeugende Basis.

Rezension: Marie-Louise Schneider

Fotos: Thomas Bender
Fotos: Thomas Bender

Sonntagskonzert Nr. 6 | Music was my first love

Das letzte Ereignis in der diesjährigen Sonntagskonzertreihe des Chorverbandes Berlin in der Philharmonie war in mehrfacher Hinsicht ein besonderes: 

Die 3 Chöre, die Clara Schumanns Namen tragen (der Frauenchor unter Leitung von Heike Peetz, der Kinder-und Jugendchor der Musikschule Lichtenberg unter Leitung von Ute Franzke sowie die Amsel- und Spatzenchöre unter Leitung von Vera Hahn), standen mit über 100 Sänger*innen gemeinsam auf der Bühne und umfassten eine Altersspanne von 75 Jahren (!).
Berührend war es zu erleben, wie sich jugendliche Frische sowie Lebenserfahrung und Reife gut ergänzten und sich die Sänger*innen gegenseitig unter dem Motto „Music was my first love“ inspirierten. Für die Umsetzung dieses Mottos wurden spannende räumliche und klangliche Varianten ausprobiert und mit einer Choreografin (Mareike Jung) gearbeitet, was für alle Sängerinnen neue Anforderungen mit sich brachte und dem Publikum ein abwechslungsreiches und genreübergreifendes Programm bot.  

Viele Stücke wurden gemeinsam dargeboten, so der frische Auftakt „Viva la musica“ und „Stimmt alle mit uns ein“, bei denen bereits alle Mitwirkenden zu erleben waren und der ganze Bühnenraum gut genutzt wurde. Die Nachwuchschöre brachten danach drei ganz unterschiedliche und gut zu ihnen passende Lieder zur Aufführung und überzeugten nicht nur durch ihren lebendigen und natürlichen Gesang, sondern auch durch sinnvolle kleine Choreografien. Der Jugendchor beeindruckte durch seinen homogenen Klang und gute Intonation. Sowohl im „klassischen“ und Volkslied-Bereich (sehr frisch wurde Purcells „Sound the Trumpet“ musiziert) als auch bei moderneren Sätzen von John Rutter oder Peter Schindler konnten die ca. 30 Sängerinnen und Sänger durch ihre Musikalität überzeugen. Der Einsatz von Perkussion war eine interessante Abwechslung im Programm.

Der Frauenchor brachte dann schöne warme Klangfarben zur Geltung. Bei „Music for a while“ wurde ein Kontrabass eingesetzt, der diesem gefühlvoll gesungenen Satz eine gute Basis verlieh. Die beiden finnischen Stücke von Anna-Mari Kähärä wurden vom Chor sehr differenziert musiziert. Beim zweiten dieser Songs waren zwar durch die sehr interessante schräge Aufstellung anfangs leichte Rhythmik- und Tempoprobleme hörbar, aber die anspruchsvolle Harmonik und Dynamik des Satzes wurde gut gemeistert und mündete in einen überraschenden, schönen Schluss. Sehr überzeugend dann die Choreografie für alle Chöre beim letzten Song vor der Pause, „Rhythm of life“: die Lebendigkeit auf der Bühne, wo sehr schön mit bunten Tüchern gearbeitet und auswendig gesungen wurde, stand dem gleichzeitig stattfindenden Karneval der Kulturen in nichts nach und übertrug sich auf das Publikum, das froh in die Pause eilte. „Ein kleines Lied“ wurde vom Jugend- und vom Frauenchor mit Seele gesungen, da nahm niemand kleine Unsicherheiten bei den höchsten Soprantönen wirklich übel.

Sehr abwechslungsreich dann der Part vom Jugendchor: mit japanischen Liedern (besonders originell die „Sieben Haikus“) und dem Einsatz von Perkussion sowie Choreografie bei zwei Stücken begeisterten sie das Publikum. Die Chorleiterin agierte mit knappen Gesten und ließ den Chor auch mutig mal „alleine“ singen. Schöne große Melodiebögen zeigte der Chor bei „Sing You Now“. Der Frauenchor, der mit vielen neuen Liedern und Arrangements zu hören war, überraschte auch durch Ausflüge in den Popularmusikbereich, wovon der Abba-Song “ Thank You for the Music“ am meisten überzeugte und das Publikum wirklich berührte. Sehr schöne Schwingungen hatte „There is sweet Music here“, das dynamisch und klanglich differenziert musiziert wurde. Auch die Instrumentalisten (Yuki Inagana und Ya Suo am Piano, Levin Peetz am Schlagzeug und Thorsten Becker am Bass) trugen gekonnt zum Gelingen des Konzerts bei. Berührend der Schluss des Konzertes, als die älteste Sängerin und ein kleines Mädchen der Amseln „Music was my first love” solistisch begannen, die anderen Sänger:innen das Publikum umkreist hatten und den Background sangen, das ganze Lied dann in eine Kaskade der Lebensfreude mündete und einen wunderschönen Schlusspunkt darstellte!  

Authentisches und lebendiges Musizieren – das konnte man hier erleben und war so ganz im Sinne Karola Marckardts, die diese Chöre in den 80er Jahren gegründet und geprägt hatte.  

Rezension: Susanne Faatz