Sonntagskonzertreihe 2025 - Rezensionen

Sonntagskonzert Nr. 1 | Chaos & Kosmos

Was für ein Auftakt für die seit über 25 Jahren stattfindende Sonntagskonzertreihe des CVB im Kammermusiksaal der Philharmonie!

Drei Spitzenkammerchöre Berlins haben sich trotz des extrem frühen Termins im Jahr und so kurz nach der mit Konzerten gespickten Weihnachtszeit zusammengefunden, um gemeinsam das Thema „Chaos&Kosmos“ – Verzweiflung und Hoffnung – zu beleuchten.

Die insgesamt fast 80 Sängerinnen und Sänger ließen zu Beginn unter der Leitung von Johannes Stolte die doppelchörige Motette „Ach Herr, straf mich nicht in deinem Zorn“ von Heinrich Schütz (1585-1673) hören. Schon hier konnte man sich über die plastische Darstellung und hervorragende Verständlichkeit des Textes freuen. Nach kurzer intonatorischer Irritation mit dem von Arndt Martin Henzelmann gespielten Orgelpositiv animierte Stolte den großen Chor zu klarer Phrasierung und berührender Ausdeutung des Textes.

Das von Matthias Stoffels geleitete ensemberlino vocale setzte das Programm fort mit einem extrem anspruchsvollen Programm. Die amerikanische Komponistin Amy Beach (1867-1944), ein musikalisches Wunderkind und Pionierin der amerikanischen Frauenbewegung, schrieb die vier Chorsätze, die sich das ensemberlino vorgenommen hatte. „Help us, o Lord“, ein über zehn Minuten sich erstreckendes, bis zu fünfstimmiges Bitten um Gottes Hilfe bei verzweifelten Fragen der Existenz, ist dreiteilig: im ersten tutti-Teil wechseln sich Anrufung und Fragen ab, ein demütiger Frauenchor bildet das Zentrum, dem eine ausgewachsene, fünfstimmige Chorfuge folgt. Die spätromantische Tonsprache der Komponistin enthält unglaublich farbenreiche harmonische Fortschreitungen, deren Intonation für einen Amateurchor kaum erreichbar ist, die der Chor aber nahezu makellos bewältigte. Diesem echten Vokalkoloss folgten noch drei kurze, zarte Sätze derselben Komponistin, die der Chor klangschön und berührend darbrachte.

Sehr erfreulich bei diesem Sonntagskonzert war die Tatsache, dass weiblichen Komponistinnen viel Raum gegeben wurde. So begann das nur 20 SängerInnen umfassende Vokalensemble Kreuzberg unter der Leitung von Johannes Stolte sein Programm mit einer Meditation über Vergänglichkeit und Ewigkeit „Ur drömliv 1“ von der schwedischen Komponistin Elfrieda Andrée (1828-1895). Der zarte, strophisch gebaute Satz stand im krassen Gegensatz zu Rheinbergers (1839-1901) Motette “Warum toben die Heiden?“. Der Vergleich mit der gleichnamigen Komposition von Mendelssohn-Bartholdy drängt sich auf, für die Wucht der wilden Anfangsfragen hätte man sich doch einen etwas größeren Chor gewünscht. Umso schöner gelang das verhauchende Ende „…selig sind alle, die ihm vertrauen“ in zauberhaftem Pianissimo. Etwas erschöpft von dem gewichtigen Stück erklang der sechsstimmige Klagegesang „When David heard“ von Thomas Weelkes (1576-1623), ein guter dramaturgischer Gegensatz zu den romantischen Stücken. Die Anrufung Gottes in größter Not „Timor et Tremor“, entstanden vor Kriegsbeginn 1938, setzt Francis Poulenc (1899-1963) in extremer Dynamik mit kompliziert verdichteter Harmonik um, die Stimmregister werden voll ausgereizt in ihrer Reichweite. Der intelligente kleine Chor stellte sich diesen Anforderungen mutig und mit Temperament. Wiederum eine Komponistin beschloss das Programm vor der Pause: die auf dem Festland bisher weitgehend unbekannte Anna Thorvaldsdottir (1977) stammt aus Island und hat bereits ein vor allem aus Orchesterstücken bestehendes Ouevre vorzuweisen. Der altisländische Psalm „Heyr pú oss himnum à“ wurde vom Vokalensemble Kreuzberg auf isländisch gesungen, ein auf archaischen Quinten ruhender Gesang mit  Dissonanzanreicherungen, die der Chor souverän meisterte.

Nach der Pause überraschte das Consortium musicum Berlin, das letztes Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiern konnte, mit einer Aufstellungsvariante: Dem in einer Reihe erhöht im Rang plazierten Chor stand die Solistin Rahel Kramer, auch Stimmbildnerin des Chores, auf der anderen Seite gegenüber – gemäß dem Titel des litauischen Volksliedes „Anoj pusej Dunojelio“ (Auf der anderen Seite der Donau) im Satz von Vaclovas Augustinas (1959). Im Gegensatz zu den ausschließlich geistlichen Textvertonungen der vorangehenden Programmpunkte widmete sich das Consortium musicum in seiner Auswahl weltlichen Varianten von Verzweiflung und Hoffnung.

Charles Hubert H.Parry (1848-1918) komponierte „My Soul, there is a country” nach dem Tod einiger seiner Studenten während des Ersten Weltkrieges. Das expressive Stück wurde vom Chor auswendig gesungen, hochgradig präsent, präzise und ausdrucksstark, der Kontakt zum Dirigenten Arndt Martin Henzelmann war unmittelbar spür- und sichtbar. Die Balten Peteris Vasks (1946) und Veljo Tormis (1930-2017), beide Hauptvertreter baltischer Chormusik ihrer Länder, mussten sich sowjetischer Herrschaft beugen und haben „Widerstandsmusik“ geschrieben. Vasks „Madrigals“ symbolisiert die ersehnte Freiheit kompositorisch mit Improvisationsteilen, in denen sich die ChorsängerInnen frei bewegen und so mit einem tonalen Cluster die Basis für melodietragende Stimmen bilden. Tormis kombiniert in seinem „Laulusild/Bridge of Song“ alte estnische und finnische Texte, eine Brücke zwischen den Völkern: ein rhythmisch akzentuiertes Volkslied durchläuft mehrere Variationen und klangliche Schattierungen. Mit der von Stephen Paulus (1949-2014) gesetzten Pilgerhymne „The Road Home“ – wieder auswendig gesungen und in einer gemischten, tableauhaften Formation – beschloss der Chor sein innovatives Programm.

Am Ende dieses packenden Programms standen zwei Stücke zum Lobpreis Gottes, zu denen sich die drei Chöre vereinten: Urmas Sisasks (1960-2022) rhythmisches, auf vier Tönen gebautes „Benedicamus&Laudate Dominum“ und Anton Bruckners (1824-1896) „Os justi“, was im Publikum die Reaktion hervorrief:

„Ach, war das schön!“

Rezension: Sabine Wüsthoff

Fotos: Stephan Röhl, 2025
Fotos: Stephan Röhl, 2025

Sonntagskonzert Nr. 2 | Männersache

Außen hart und Innen ganz weich …

Drei Berliner Männerchöre gestalten ein gemeinsames Konzert im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie.

Mit dem zweiten Konzert der Sonntagskonzertreihe des Berliner Chorverbandes zogen Volkslied, leichte Muse und auch ein bisschen Pop-Musik in die heiligen Hallen der Hochkultur im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Drei traditionsreiche Berliner Männerchöre hatten sich spürbar vorgenommen, ihr Verständnis des Männerchorgesangs zu präsentieren und sich dabei nicht zu ernst zu nehmen. Diese Haltung wurde bereits im Titel „Männersache“ deutlich und ermöglichte es, ohne ideologisch verhärmte Rhetorik auf Chöre zu blicken, die eine hundertprozentige Männerquote umsetzen.  

Das Konzert begann mit zwei gemeinsamen Stücken, die von allen drei Chören gemeinsam vorgetragen wurden. Hier wurden mit der Hymne „Lasst uns wie Brüder treu zusammenstehen“ und „Frisch gesungen“ zwei Klassiker der Männerchorliteratur gewählt, die aufgrund ihres unterschiedlichen Charakters, kurzweilig und passend das Konzert eröffneten. Die drei Chöre entwickelten insbesondere in der Hymne einen mächtigen Klang, der die Begeisterung der Mitwirkenden auf das Publikum übertrug.

Anschließend trug der Männerchor Eintracht 1892 Berlin – Mahlsdorf unter der Leitung von Marcus Chrome seinen Konzertanteil vor. Aus dem volksliedhaften Repertoire stachen dabei die stets zielsicher den Publikumsgeschmack treffenden Variationen über Schuberts „Die launige Forelle“ heraus, die mit viel Eifer vorgetragen wurden und so über manche kleinere intonatorische Unebenheit hinweghelfen konnten. Mit „Kumbayah, my Lord“ wurde noch ein Gospel ergänzt und so die Bemühungen um eine Erneuerung des Repertoires demonstriert.

Der nun folgende Block der Berliner Liedertafel 1884 schloss sich nach dem freundlichen Applaus des recht zahlreich erschienenen Publikums an. Diese präsentierte gemeinsam mit ihrem Dirigenten Vincent Jaufmann und dem Pianisten Uwe Streibel Lieder, die die lange Geschichte des Chores in besonderer Weise berührt hatten. So wurde „Der Käfer und die Blume“ bereits im Jahr 1885 von der Berliner Liedertafel öffentlich aufgeführt, „Jubilate“ vom Gründer Adolf Zander bearbeitet und „Der Blumengarten“ von Wolfgang Poos eigens für die Liedertafel komponiert und stellte gleichzeitig einen der wenigen zeitgenössischen Beiträge abseits der Pop-Musik dar. Mit „Freiheit“ von Westernhagen und „Tage wie diese“ von den Toten Hosen wurde die erste Konzerthälfte stimmungsvoll abgeschlossen.

Nach der Pause präsentierte sich der Männerchor Cäcilia 1890 Berlin. Dieser ursprünglich kirchliche Männerchor geht in der Nachwuchsarbeit einen interessanten Weg, indem sich einige Sänger aus dem Chor zu einem Ensemble „Junge Stimmen“ zusammengefunden haben und sich mit deutscher und englischsprachiger Popmusik auseinandersetzen. So werden erfolgreich junge Nachwuchssänger angeworben und gleichzeitig auch das Repertoire des Konzertchores erweitert. Auch in der Repertoirewahl für dieses Konzert schlug sich dieses nieder. Hier wurde ein Bogen von Schuberts „Lindenbaum“ bis zu „Männer“ von Grönemeyer geschlagen. Dabei entstanden einige Momente komischer Selbstironie, die wieder bestätigten, dass mit viel Humor an das Thema Männerchorgesang heran gegangen wurde.

Zum Schluss des Konzertes wurden erneut alle Sänger der drei Chöre auf die Bühne bemüht. Nachdem sich alle drei Chorleiter nochmals präsentieren konnten, blieb der Eindruck einer harmonischen Zusammenarbeit und ein begeistertes Publikum, das sich nach der obligatorischen Zugabe noch eine weitere Wiederholung erklatschte. Die Sänger auf der Bühne waren angesichts ihrer Rührung und Begeisterung um Fassung bemüht – außen hart und innen ganz weich …

Rezension: Nils Jensen